GOETHE UND DIE SCHWEIZ
Die Goethe-Gesellschaft Schweiz organisiert für ihre Mitglieder einmal jährlich, meist um Goethes Geburtstag herum,  einen Ausflug oder eine Wanderung auf Goethes Spuren. 2009 führte die Exkursion zu einem der meist beschriebenen Monumente der Schweiz in Goethes Zeit, das heute fast vergessen ist.
 

           DAS GRABMAL VON HINDELBANK

            von Fritz Egli, Basel


In Hindelbank weilte Goethe am 20. Oktober 1779. Er wollte hier das von Johann August Nahl dem Älteren 1751/1752 geschaffene Grabmal der Magdalena Langhans sehen, eine Darstellung der Auferstehung am Jüngsten Tag: Die Verstorbene drängt sich mit ihrem Kind auf den Armen durch die geborstene Grabplatte. Das Werk, zu dem der berühmte Berner Dichter und Naturforscher Albrecht von Haller eine Grabschrift beigesteuert hatte, wurde enthusiastisch rezipiert und von Reisenden aus ganz Europa aufgesucht. Ansicht der Grabplatte in der Kirche von Hindelbank bei Bern:

Berichte aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigen diese ungewöhnliche Resonanz. Sie lässt sich mit der künstlerischen Qualität des Werkes allein nicht erklären; entscheidend dürfte gewesen sein, wie sehr die Darstellung den Gefühlsbedürfnissen der Zeit entgegenkam. Auf diese besondere Konstellation wies Goethe in seinem Brief vom 20. Oktober 1779 an Frau von Stein ausdrücklich hin: »Man spricht mit einem allzeit fertigen Enthusiasmus von solchen Dingen, und niemand sieht drauf was hat der Künstler gemacht, hat er machen wollen.«


Albrecht von Hallers Text:

Aufschrift auf das vortrefliche Grabmahl, das Herr Nahl einer überaus wohlgebildeten und in den Wochen gestorbenen Frauen zu Hindelbank aufgerichtet hat.

Horch! die trompete schallt, ihr klang dringt durch das grab,
Wach auf, mein schmerzenssohn, wirf deine hülsen ab,
Dein Heiland ruft dir zu; vor ihm flieht tod und zeit,
Und in ein ewig heil verschwindet alles leid.
Albrecht von Haller: Versuch Schweizerischer Gedichte (Ausgabe 1772)

Fassung auf dem Grabmal:


Horch die Trompete ruft, sie scha // llet durch das Grab
Wach auf mein Schmerzens // Kind leg deine Hülse ab
Eil deinem Heiland zu vor Ih // m flieht Tod und Zeit
Und in ein Ewigs Heil versch // windet alles Leid.


Zeugnisse zur Rezeption des Grabmals:


Seht, wie vom Donnerton des Weltgerichts erweckt,
Durch den zerrißnen Fels, der dieses Wunder deckt,
Die schönste Mutter sich aus ihrem Staub erhebet!
Wie den verklärten Arm Unsterblichkeit belebet!
Wie bebt von seinem Stoß der leichte Stein zurück!
Wie glänzt die Seligkeit schon ganz in ihrem Blick!
Ihr triumfierend Aug, in heiligem Entzücken,
Scheint den enthüllten Glanz des Himmels zu erblicken,
Der Serafinen Lied rührt schon ihr lauschend Ohr;
Ein junger Engel schwebt an ihrer Brust empor,
Und dankt ihr jetzt zuerst sein theur erkauftes Leben:
Der Wandrer siehts erstaunt, und fromme Thränen beben
Aus dem entzückten Aug: er siehts und wird ein Christ,
Und fühlt mit heil’gem Schaur, daß er unsterblich ist.

Christoph Martin Wieland: Die Natur der Dinge (1762)
Grabmal von Hindelbank
   


Welch eine Verbindung zwischen Tod und Leben, die den nschauer unendlich interessieret, deren erste fürchterliche Hälfte, als schon heran=eilend, er ohnfehlbar sich zu gewarten hat, die andere erquikkende und tröstende Hälfte aber, als sehr weit entfernet, und als eine langsam anbrechende schwache Dämmerung, nach einer schon hereintretenden tausendjärigen Nacht, nur wünschend hoffen darf! dies trefliche Grabmal, das Werk des berühmten Nahl, ist, übrigens, mit einem Denkvers aus der Hallerischen Feder versehen worden.
Johann Georg Reinhard Andreae: Briefe aus der Schweiz nach Hannover geschrieben in dem Jahre 1763


Für Denkmäler [schicken sich] solche Vorstellungen am besten […], wo nur das Wesentliche der Sachen, in wenig Bildern ausgedrükt wird. Hiezu aber sind nur die größten Köpfe aufgelegt: daher man wol behaupten könnte, dass ein vollkommenes Denkmal dieser Art, eines der schweresten Werke der Kunst sey. Es ist im Artikel Allegorie eines schönen Denkmals, das den noch lebenden Bildhauer Nahl zum Erfinder hat, Erwähnung geschehen, dessen Beschreibung hier einen Platz verdienet.Es ist das Grabmal einer tugendhaften und sehr schönen Frauen, welche durch eine schwere Geburt ihr Leben eingebüßt hat. Dieses Denkmal stellt ein Grab vor, mit einem ganz schlechten Stein bedekt. So bald man aber näher herantritt, wird man plötzlich in die erstaunliche Scene versetzt, wo die Gräber sich öffnen und ihre Todten lebendig wieder hergeben werden. Man findet den Grabstein durch ein gewaltiges Beben der Erde mitten von einander geborsten, und durch die daher entstandene Oeffnung sieht man die dort begrabene Person, mit allen Empfindungen der Seeligkeit, in welche sie nebst ihrem Kinde nun soll versetzt werden, auf dem Gesichte und in der ganzen Bewegung. Sie trägt ihr Kind, das nun auch lebt, in dem linken Arm, und mit dem rechten stösst sie den geborstenen Grabstein in die Höhe, um aus dem Grabe heraus zu steigen. Um den Grabstein stehen die Worte: Hier bin ich, Herr, und das Kind, das du mir gegeben hast, nebst dem Namen des Verstorbenen.
Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste (1771)


Einige Stunden vor Bern verdient ein überaus merkwürdiges Monument der neuen Bildhauerkunst, das sich in der Kirche des Dorfs Hiedelbanck befindet, wohl eine kleine Abweichung von der Straße. Es gehört unstreitig zu den schönsten Denkmälern der Kunst, und ist zugleich ein Beweis, wie viel das Interesse des Herzens über das Genie des bildenden Künstlers vermag. […] Zu der Zeit [als Nahl mit dem Denkmal für den Schultheiß von Erlach beschäftigt war: F. E.] starb seinem Freunde Langhans, Pfarrherrn des Orts, bey welchem er wohnte, seine Gattin ab, die man für eine der ersten Schönheiten in der Schweitz hielt, und die diesen Vorzug noch durch eine edle Seele erhöhete. Sie starb jung, in ihrem ersten Wochenbett, und am Abend vor dem Osterfest. Der Künstler, gerührt von dem Schmerz der Freundschaft und der Zärtlichkeit, ergrif seinen Meissel, um seinen Freund zu trösten, und seine eigene Empfindung durch einen Stein zu verewigen. Er eilte zu dem Werke, die Erfindung folgte seinem Herzen, und sein Herz selbst trieb den Meissel. Vielleicht hat, nach Pygmalion, kein Bildhauer einen Stein wärmer und zärtlicher belebt, als Nahl; aber hier war zugleich eine Erhabenheit von Ideen, die keinen Griechen begeistern konnte. Die Umstände des Todes veranlaßten den Künstler, seine Freundin in einem der interessantesten Augenblicke, in dem Augenblick der Auferstehung, vorzustellen. Das steinerne Grab, das in der Kirche an einem etwas vertieften Ort liegt, ist in der Mitte seiner ganzen Länge nach zerborsten. In der Oefnung des Steins erscheint die Auferstehende, eine schöne rührende Figur, mit dem Kinde, das kaum von ihr sein Leben empfing, als es schon mit ihr zu leben aufhörte. In ihrem edlen Gesichte glänzt die Wonne der Unsterblichkeit durch den trüben Schmerz des Todes hervor; kein eckelhafter Anblick von Verwesung, kein schaudervolles Gerippe; sondern neues, volles, erhabenes Leben, das aus einem noch nicht ganz vertilgten wehmüthigen Ausdruck der lezten Leiden emporzustreben scheint. Der Grabdeckel hebt sich und wird dadurch gespalten; man sieht in einiger Vertiefung die Mutter mit dem Kinde; mit dem einen Arm scheint sie den Stein zurückzustossen, der noch ihrem Ausgang widersteht, und mit dem andern drückt sie an ihre Brust ihr Kind, das sich mit ihr wieder belebt, und mit seinen kleinen Händen zu helfen scheint, um sich aus dem Gefängniß des Grabes herauszuarbeiten. Die Figuren so wohl, als das ganze Grabmal, sind aus einer einzigen Masse von einem zarten Stein gebildet; ein so edles Werk verdiente den schönsten Marmor, der Jahrtausende überlebt. Der Riß des Steins, der ihn in drey Stücke theilt, ist so natürlich gearbeitet, dass das Grab sich in dem Augenblick des Anschauns zu eröfnen scheint, und in dem Gesicht der Auferstehenden ist die größte Aehnlichkeit mit dem Ausdruck vereinigt. Man kann sich nicht Rührenders oder Feierlicheres denken, als diese Vorstellung. Alles, was das menschliche Herz erweicht und wieder tröstet, was es niederschlägt und wieder erhebt, hat der Künstler darin zu verbinden gewußt. Eine Mutter, die diesen süßen Namen zu theuer erkaufte, mit dem Schmerzenssohn an der Brust, ihrem geliebten und schuldlosen Gefährten im Tode, der nur gebohren schien, um zu sterben, und zu sterben schien, um wieder mit der zu leben, von der er zu leben angefangen; die Rührungen der Schönheit, der Liebe und ihrer Leiden, die hier alle vereinigt sind, wie sehr erweichen sie nicht schon das fühlende Herz! Was aber am meisten dies Denkmal schätzbar macht, ist die Größe der Ideen, die sich darin erheben, und das Interesse, das sie für die Menschheit haben. Der Künstler hat hier den entscheidenden Uebergang vom Tode zur Unsterblichkeit mit aller Kraft der Wahrheit und des Ausdrucks dargestellt. Man fühlt den grossen Augenblick, worin Zeit und Ewigkeit zusammen hängen. Und wie einfach und wie wahr! Wie edel und rein von allem Gemeinen, von allem Eckelhaften, das die Künstler nur zu oft in ihren Vorstellungen und Verzierungen bey Grabmonumenten einzumischen pflegen! Daher die siegende Kraft der Rührungen, die hier jeder Anschauer fühlt, die noch durch die bekannte Inschrift von Haller und durch die Erinnerung an eine schöne Stelle von Wieland, der in seinem Gedicht über die Natur dieses Grabmal beschreibt, nicht wenig unterhalten wird. […] Ich muss Ihnen gestehen, dass mich dieses Grabmal ungemein gerührt, so oft ich es sah, und so oft ich mich wieder daran erinnerte.
Christian Gay Lorenz Hirschfeld: Neue Briefe über die Schweiz (1776/1785)


Der Gedanke von diesem Grabstein ist sehr gutt, aber die Ausführung davon ist schlecht und modern; in dem Kopf ist gar keine Expression. Die Figur ist meistens bedeckt von dem obern Stein und was zu sehen ist, ist sehr incoreckt gezeichnet. Das Gewand hat keine reinen Fälten und ist verwirrt; das Kind ist gantz zu sehen, und liegt auf der Mutter, in der Actzion wie es sich emporhelffen will, hat gar keine Noblesse und ist so schlecht gezeichnet als wie die Mutter, siht aus als wan es gedräht wäre; die Ornementer auf dem Grabstein sind zwei Schilder mit ihre Wappen auf frantzösische Art.
Alexander Trippel: Aufzeichnungen (um 1776)


Izt, mein liebes Herz, Mittwochs, Nachmittags 2 Uhr sitz’ ich im Wirtshaus zum Falken auf einem gelben Ruhebette, und schreibe Dir, dass wir heut Morgen Vormittag glücklich, obwohl uns mitten in der Stadt ein Rad aussprang, hier angelangt. In Kilchberg hielten wir ein wenig und aaserten. Zu Hindelbank besahen wir uns die berühmten Grabmäler – das so die Auferstehung einer an ihres Kindes Geburt gestorbenen Frau Pfarrerinn, so fleißig es auch ausgearbeitet, so gut auch der Gedanke ist, vorstellt, ist dennoch im Grunde unerträglich dumm und nicht gedacht gemacht. Sie hat keinen Raum zu liegen, der Stein würde sie zerquetschen, wenn er zugeschlossen wäre.
Johann Caspar Lavater: Reise nach Bern, in Briefen an seine Frau (1777)


Vom Grabmal der Pfarren zu Hindelbanck zu hören werden Sie Geduld haben müssen, denn ich habe mancherley davon, darüber und dabey vorzubringen. Es ist ein Text worüber sich ein lang Capitel lesen lässt. Ich wünschte gleich iezt alles aufschreiben zu können. Ich hab soviel davon gehört und alles verbertucht pour ainsi dire. Man spricht mit einem allzeit fertigen Enthusiasmus von solchen Dingen, und niemand sieht drauf was hat der Künstler gemacht, hat er machen wollen.Goethe an Frau von Stein, 20. Oktober 79[Das Werk ist] für die Erwartung, die man mitbringt, zu klein, und nicht aus Marmor, oder einem andern harten, sondern aus einem weichen oder doch so scheinenden Stoffe verfertigt, der in einem jeden nachdenkenden Zuschauer den unangenehmen Gedanken erregt, dass dies schöne Werk nicht so lange dauren werde, als es seiner Vortreflichkeit nach verdiene. […] Die Risse selbst, und die Ränder der Bruchstücke sind mit so täuschender Kunst gearbeitet, dass die Natur selbst nicht natürlicher seyn kann, oder zersprengte Felsstücke nicht natürlich scheinen würden, wenn sie anders als diese aussähen. Durch die Oefnung erblikt man die Mutter, eine schöne, ausdruksvolle Griechische Figur, in einem sanften, aber sichtbaren Bestreben sich aufzurichten, und in ihrem Schooße das holde Kind, dessen linkes Händchen noch in den Händen der Mutter ligt, das sich aber mit der rechten Hand an den geborstenen Grabstein anklammert, als wenn es sich durch eigne Kraft aus seinem Lager erheben wollte. Diese Attitüde ist über alle Beschreibung rührend, und meinem Bedünken nach der glüklichste Theil der schönen Erfindung, die so viele Bewunderer gefunden hat.
Christoph Meiners: Briefe über die Schweiz (1788)


Gestern kamen wir um 6 Uhr Abends nach Bern, und hatten unterwegs […] das Vergnügen […], in der Kirche zu Heidelbank das berühmte Grabmahl der schönen Wöchnerin zu sehen.  […] Es ist wirklich ein schönes Stück der Kunst und Erfindungskraft des Herrn Nahl, welcher hernach bey dem Landgrafen von Herrencastel in Dienst trat. Der Gedanke des durch den Schall der Trompete des lezten Gerichts geborstenen Grabsteins ist der Religion so angemessen, und der Augenblick, in welchem ein schönes Wesen neu erschaffen zu ewiger Seligkeit aus dem Grabe emporstrebt, machte es dem Künstler zur Pflicht, die liebenswürdige Tode in voller Blüthe der Schönheit darzustellen, und wie ich von Wieland die richtige Bemerkung machten hörte, so ist auch die Bewegung des Arms, mit welchem sie den Stein wegstößt, mit so vielem Geist nach der Kraft einer Unsterblichen berechnet, daß gar keine Anstrengung, wie Menschen nöthig haben, dabey sichtbar ist, sondern nur eine leichte Berührung von der Hand eines sich aufschwingenden Engels. Ihr Kind, das mit ihr starb, faßt sie mit der andern, und da sind zu dem Ganzen die Verse des großen Herrn von Hallers eben so schön: »Horch die Trompete ...«Einen starken Tadel macht man dem Künstler, daß er einen weichen Sandstein zu dem schönen Werke nahm, es etwas zu schmal machte, und mit Zierrathen, damals gewöhnlicher, geschmackloser Schnörkel, Muscheln und gezacktem Laubwerk den Ernst und die Würde benahm, welche das ganze Werk verdient.
Sophie von La Roche: Tagebuch einer Reise durch die Schweitz (1784)


Nahl der Bildhauer, ein Schwede, der mehr die Darstellung simpler Natur oder ädeln antiquen Geschmak liebte, als Prunk und Ueberladung mit Zierraten […].Zwischen dem durch die Stimme des Weltrichters in 3 Teile geborstenen Stein, erblickt man die schönste weibliche Figur von griechischer Form auf der linken Seite liegend, mit dem linken Arm das obre Teil des Steines gleichsam wegdrückend um dem Grabe zu entgehen; mit der rechten Hand hält sie am linken Aermgen das neugeborne Kind, das mit seinem Köpfgen schon fast durch den geborstnen Stein heraus ist, und sich bestrebt mit seinem rechten Händgen den Stein vollends weg zu schieben. Der Ausdruck dieser Gruppe ist meisterhaft, über alle Beschreibung schön, und verfelt gewiß nie seine Wirkung bei denen die es betrachten. Die sich Gott ergebende Gelaßenheit, mit freudigem zum Himmel erhabnen Blick, in dem Gesichte der Mutter, die sich mit ihrem Schmerzenskinde aus dem Staube der Verwesung im verklärten Leibe zu den seligen Gefilden des Friedens, der Ruhe und schmerzensfreien Ewigkeit empor zu heben scheint, – der sanfte unschuldsvolle Blick des kleinen Engels – welcher fülbare Mensch vermöchte dieses auszuhalten, one bis zu Tränen gerürt zu werden??
Christian Gottlieb Schmidt: Von der Schweiz. Journal meiner Reise vom 5. Julius 1786 bis den 7. August 1787


[…] bey dem ersten Anblicke selbst – drängte sich mir das Gefühl auf: – Das, was du siehest, ist nicht eine Auferstehende; es ist eine lebendig Begrabene. Dieser erste Eindruck, den ich weder schaffen noch hindern konnte, ist mir geblieben. Diese Auferstehung verkündiget nicht den Athem der Allmacht, der mit Eins die schlafende Welt an den Tag ruft! Es ist einmenschliches Bestreben, einem Jammer zu entkommen. Der sehr seitwärts gewendete Kopf hat den Anblick des unter einem Druck Erliegenden, und bildet die Idee aus. Als Kunstwerk übrigens, ist dieser Grabstein ganz vortrefflich. Der gespaltene Stein hat den höchsten Grad möglicher Täuschung. Mehrere Male glaubte ich zusammengesetzt, was doch nur ein Stück ist. […] Das Denkmahl ist umso ehrwürdiger, da es des Künstlers Mitgefühl an seines Freundes Leiden, bey dem Verlust des guten schönen Weibes geschaffen hat. Der Gedanke, der hier verewigt ist, kam aus Nahls Herzen.August Wilhelm Iffland: Blick in die Schweiz (1793)Wenn ich dachte, das es die auferstehung vorstellen soll – dünkte es mich zimlich Sinlich – ich stelle mir die auferstehung gantz anderst vor – Als Kunststuk betrachtet ists ein rares meisterstük – Aber als eine unenthüllte – unbegreifliche Begebenheit zu figurieren – dünkt es mich plump – doch mann würde mirs nicht vertragen über dergleich sachen zu räisonieren.
Ulrich Bräker: Tagebuch 1791 – 1797 (1795)


Es ist im Grund dasselbe [eine unstatthafte Vermischung des Dargestellten mit dem Wirklichen], was an dem widerwärtigen Grabmale zu Hindelbank bey Bern, wo die Mutter, mit ihrem Kinde im Arm, als auferstehend sich unter dem zerborstenen Leichensteine hervordrängt, so vielfältig gepriesen worden. […] Diese Beyspiele sind merkwürdig: sie beweisen, wie die Neueren, bey dem Bestreben die Alten in immer reinerem Sinn nachzuahmen, durch einen fast unwiderstehlichen Hang zur Täuschung, zur eigentlichen buchstäblichen Täuschung hingezogen werden. Bey der Sculptur, welche diese Mittel ganz entschieden verwirft, ist dieß am auffallendsten.
August Wilhelm Schlegel: Artistische und literarische Nachrichten aus Rom(1805)


Die Idee ist originell – aber auch ästhetisch? Wahrscheinlich ist Mangel an Sinn von meiner Seite daran schuld, aber ich gestehe, es machte nichts weniger als einen vorteilhaften Eindruck auf mich, unter einem geborstenen Grabstein eine magere Frau von widerlichen Gesichtszügen (der überdies die Nase abgeschlagen ist) hingestreckt zu sehen, wie sie sich eben aufzurichten anfängt, während ein sehr täuschend dargestelltes Embryo, noch halb auf ihr liegend, halb herausgekrochen, seinen unförmlichen Kopf hervorstreckt. Man muss, deucht mir, etwas von einem Accoucheur an sich haben oder mit krassen Begriffen familiarisierter Bonze sein, um an einer solchen Komposition Gefallen finden zu können. Des grösseren Ausdrucks willen hätte man vielleicht noch die Spuren der Würmer angeben können, da die Auferstehung ohnehin noch nicht völlig zustande gekommen, sondern erst im Werden ist.
Hermann von Pückler-Muskau: Briefe aus der Schweiz (1808)
 

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